„Am Donnerstag hatte Mirella Weingartens Inszenierung von "Die Verwandlung" im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses Premiere. (...) So komplex ist die Partitur, dass szenische Aktion der Musizierenden ohnehin nicht in Frage kommt; dafür hat Dittrich eine Pantomine vorgesehen. Weingarten überträgt diese Rolle zwei Tänzern (Laura Siegmund und Daniel Drabek) und beschränkt ihre Aktionen auf eine nur fenstergroße Leinwand. Auf dieser hell erleuchteten Fläche lassen die Bewegungen der Tänzer abstrakte Schatten entstehen, die zwischen menschlichen und tierischen Formen changieren und immer wieder den Aspekt der Verwandlung thematisieren. Abstraktion und Konzentration auf das Wesentliche ist das Gebot dieser Aufführung. Mirella Weingartens konsequente Regie ist diesem Ziel ebenso verpflichtet wie das sparsame, souveräne Dirigat Titus Engels. Die Musik ist es, die als Ausweg aus der Gefangenschaft angedeutet wird: In Kafkas Erzählung lauscht der Käfer seiner Schwester beim Violinspiel: "War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff?" Bei Dittrich folgt der Utopie-Choral auf ein betörendes Violinsolo, und in Weingartens Kammerspiel drücken sich Fäuste und Schultern durch den Leinwand-Stoff: Erstmals ist ein dreidimensionaler Mensch erkennbar.“
Berliner Zeitung
„Zuerst ist Dunkelheit. (...) Etwas Licht dämmert, wird allmählich heller, bis Konturen der Bühne sichtbar werden. Oberhalb ein Viereck, das strahlt, als wäre es der Spalt einer abstrakten Sonne. (...) Dittrich hatte extreme Lebenslagen in der DDR im Sinn, heute wirkt das unheimliche Stück in der Regie von Mirella Weingarten wie neugeboren. Es knisterte in den vier Wänden des prall gefüllten Saales, eines Spielorts, der dem Experiment in allen Belangen offen ist. Gebannt schaute und hörte das Publikum zu. Wohl auch, weil eine teils szenische Form zu erleben war, die klarstellte, daß der Mensch auch in neuer Musik lebendig sein kann und nicht in Abstracta ertrinken muß. (...) Individuelle und gesellschaftliche Entfremdung finden darüber extremen Ausdruck in Gestalt der zwei Bewegungskünstler Daniel Drabek und Laura Siegmund. Sie geben Schattenrisse. Figuren mit Riesenrücken und dünnen Armen verdoppeln, vervielfachen sich – die Entfremdungsprozesse schreiten voran. Man fängt fast an zu frieren, so kalt und beklemmend scheint die Situation bis zum Finale. Erst zuletzt weht ein leiser Hauch Hoffnung. Da erklingt ein entspanntes Melos, tonale Takte scheinen auf, choralhafte Gesten. »… es ist doch notwendig, bis zu einem reinen Plätzchen auf der Erde hinzukriechen, wo manchmal die Sonne hinscheint und man sich ein wenig wärmen kann«, intoniert der Sprecher.
Dirigent Titus Engel und Regisseurin Mirella Weingarten führten ein Werk auf, das in komplexen Abläufen und blitzenden Assoziationen fortschreitet und gleichwohl klar und anschaulich zur Wirkung kam.
Junge Welt